Wir nehmen Abschied

Eine traurige Nachricht für alle Freunde von „Sita“
Astrid, meine geliebte Ehefrau und unsere geliebte Mutter ist am 1. Mai 2011 nach kurzer, schwerer Krankheit gestorben.

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Sie war bis zuletzt auch im Internet sehr präsent, nicht nur in einem Posterous-Blog als Sita, sondern auch bei Twitter unter dem Pseudonym Picro und in unserem Belcantoblog unter ihrem wahren Namen Astrid Fricke.

Sie war eine erfolgreiche Juristin, Rechtsanwältin und Professorin für Familien- und Jugendrecht, doch für uns hatte sie eine Künstlerseele.

Sie hat es in hervorragender Weise verstanden, ihre Gedanken und Gefühle mit anderen zu teilen. Ihr wunderschönes Geigenspiel, ihre Begeisterungsfähigkeit und ihr Humor, ihre Kreativität und ihr einzigartiges Schreibtalent, ihre Beobachtungsgabe und ihr großes Herz werden uns unendlich fehlen.

Wer diese Seiten von ihr entdecken möchte, ist eingeladen, hier ihre Texte noch einmal zu lesen. Sie hat weiterhin in unserem gemeinsamen Belcantoblog viele gern gelesene Rezensionen von Opern für „Rossini-Freunde und Belcanto-Liebhaber“ geschrieben. Als Ehemann – fast 50 Jahre an ihrer Seite – habe ich versucht, ihre Verdienste als Autorin von Opernrezensionen im Belcantoblog zu würdigen.

Reiner Fricke und Kinder 

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Körperkult, Lifestyle und Weiblichkeit im modernen amerikanischen Krimi

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By Eugène Grasset (1841-1917) via Wikimedia Commons

Zum Joggen schlüpft Rei Shimura, japanisch-amerikanische Hobbydetektivin auf Hawai, „in melonenrote Shorts, Top und Socken“. Nachdem sie „zwei Gläser Wasser getrunken und sich die Zähne geputzt hat, macht sie Dehnübungen“ – und dann geht es los. Zum Rendezvous oder zu geschäftlichen Treffen trägt sie elegante geblümte oder einfarbige Kleider, ihr Hochzeitskleid in Brennender Hibiskus ist ein langes cremefarbenes Seidenkleid mit dezentem gelben Saum, der an die   Frangipani-Blüten der Insel erinnert. Ihr Lidschatten darf gerne einmal „pflaumenblau“ sein, sonst mag sie es aber eher sportlich-leger. In allen Dingen, welche die Gesundheit betreffen, ist sie bewandert; schließlich obliegt es ihr, dafür zu sorgen, dass ihr schwer herzkranker Vater, der sie auf der Reise begleitet, keinen Rückfall erleidet. Im gemieteten Ferienhaus sucht sie als erstes nach der Saftpresse, die dort wohl zur Grundausstattung gehört. Ihr Vater soll frisch gepresste Säfte trinken, nicht solche aus der Dose, welche er eigentlich bevorzugt, da diese „nicht so reich an Ballaststoffen, aber reich an Antioxidantien“ seien. Wenn der Freund eine Hautcreme kauft, erfahren wir die Marke ((„Neutrogena“). Unter allen Umständen weist die Heldin gepflegte Hände und Fingernägel auf: Hoppla, der Heiratsantrag mit passenden Ringen – Verlobungs- und Ehering! – kommt auch diesmal völlig überraschend! Und dass sie sich keinesfalls beirren lässt, bei intimen Gelegenheiten die offenbar tägliche Beinrasur einzuplanen, erfährt der Leser nebenbei.

Liest man diese unvollständige Aufzählung von Ritualen und Gewohnheiten, könnte man meinen, der Roman bestünde nur aus solchen „Show – don`t- tell“ – Einzelheiten. Weit gefehlt! Beiläufig und unauffällig werden diese Informationen neben Schilderungen von Fußbodenmustern oder auch der Kantinenausstattung eingeblendet, die genau so präzise ausfallen. Die fortschreitende Krimihandlung wird in ihrer Spannung dadurch nicht beeinträchtigt. 

Möchte der Leser/ die Leserin das alles so genau wissen? Ich behaupte, ja! Junge kosmopolitisch orientierte Menschen lieben den klaren Blick auf für sie wichtige Details wie die „richtige“ Kleidung, die angesagte Marke, das schnörkellose Design. Und so fällt grelles Sonnenlicht auf die Szene, Schatten und verhüllendes Dunkel sind verpönt, das Rätsel- oder Schemenhafte wird ausgeblendet. Wie anders der frühe amerikanische Kriminalroman eines Raymund Chandler, Ross Macdonald oder Jim Thompson: Hier ist der Held meist männlich. Die Frau ist oft Auftraggeberin des Detektivs und es reicht häufig, ihre Kleidung (Hut!), ihren Lippenstift und ihre hilflos aufgerissenen Augen zu beschreiben, um sie als Vamp und Verführerin zu charakterisieren. Vieles bleibt im Dunkel, es ist der Fantasie des Lesers überlassen, die Lücken auszufüllen. Unser Bild dieser Krimiwirklichkeit ist eng mit den Schwarz-Weiß-Filmen der Zeit mit ihren vielfältigen Licht-und -Schatten-Abstufungen verbunden. 

Die 30-jährige Detektivin Rei Shimura in den Romanen Sujata Masseys kann dagegen als Rollenvorbild für eine junge noch selbstunsichere Leserin dienen: Sie ist familienorientiert, bescheiden, mutig, sportlich und entscheidungsfreudig. Und ein weiterer Aspekt geradezu vorbildhafter Weiblichkeit kommt hinzu: Sinnenfreude und sexuelle Selbstbestimmtheit. Wenn da ein männlicher „Grapscher“ auftaucht, weist die Heldin ihn eindeutig und schlagfertig in die Schranken. Manche Dialoge wirken, als seien sie für ein Handbuch zur Abwehr sexueller Belästigung auf dem Campus oder am Arbeitsplatz geschrieben. Bedenkt man, dass die Autorin Sujata Massey Kurse für kreatives Schreiben an Universitäten gibt und im ständigen Austausch mit Leserinnen und Studentinnen steht, ist das nicht verwunderlich. 

Und wie sieht es in anderen Krimiserien aus? Hier scheint die Kommissarin oder Detektivin häufig immer noch am männlichen Vorbild orientiert, so als traue man einer eher traditionell „weiblich“ anmutenden Figur weniger die notwendige, mit den Anforderungen des Berufes verbundene, Härte zu. Die von der Deutschen Doris Gercke erfundene Romanfigur Bella Block ist schon älter, füllig und trinkfest. Die in den Krimis der israelischen Autorin Shulamit Lapid erfrischend unkonventionell auftretende Ermittlerin Lisi Badichi ist eckig, lang und stark, und ihre großen Hände und Füße werden immer wieder erwähnt. Damit hebt sie sich deutlich von den Frauen in ihrer Umgebung und ihrer Familie ab. In den Romanen der erfolgreichen russischen Autorin Aleksandra Marinina ermittelt die Mitte 30-jährige Anastasia Pawlowna Kamenskaja („Nadja“) bei der Moskauer Kriminalpolizei. „Sie ernährt sich überwiegend von Kaffee und Zigaretten. Vom Äußeren wirkt sie ziemlich unscheinbar, sie trägt gerne bequeme Sachen und wirkt nicht gerade anziehend auf Männer. Sie ist introvertiert “ (nach Peter Kümmel in Krimi-Couch.de). Das mag genügen, um zu verdeutlichen, dass eine so „unkomplizierte“ und als weibliches Rollenvorbild angelegte junge Frau wie Rei Shimura derzeit keine Selbstverständlichkeit im internationalen modernen Krimi darstellt, auch nicht in den Werken von Autorinnen.

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Meine liebsten Krimi-Serien: Nury Vittachis Fengshui-Detektiv ermittelt

Das Flugzeug droht, jeden Augenblick abzustürzen. Der Inder Delip Kenneth Sinha, der sich wie der Serienheld, der chinesische „Fengshui-Detektiv“ Wong an Bord befindet, beantwortet die Frage einer Mitreisenden:

„Können wir wirklich weiter gar nichts tun, als hier zu sitzen?“ folgendermaßen:

„Oh doch, wir haben die Wahl unter mehreren Möglichkeiten. Ich für mein Teil habe gewählt.“

„Und zwar?“

„Ich bestelle noch eine Tasse Tee.“ Und wenn die Mitreisende dann antwortet: “Ausgezeichneter Gedanke. Ich bin dabei “ wissen wir, dass wieder einmal ein Brite uns mit diesem witzigen und ganz und gar irrationalen Dialog in einem Krimi beglückt hat.

Nury Vittachi ist der Verfasser einer in Singapur, Hongkong, gelegentlich auch in Sydney oder streckenweise in London spielenden Krimiserie um den Ermittler Wong, der Kriminalfälle  mit Hilfe von Fengshui löst.  Nury Vittachi wurde 1958 in Sri Lanka geboren und wuchs unter anderem in Großbrittannien auf. 1986 zog er nach Hongkong, wo er mit seiner Frau und seinen drei adoptierten Kindern lebt. Dort machte er sich zunächst mit dem Schreiben von Kolumnen in Zeitungen einen Namen. Auf Deutsch sind seine Bücher in schönen gebunden Ausgaben im Unions-Verlag erschienen.

Hongkong ist einer der wenigen Orte auf der Erde, wo die Harmonielehre Fengshui absolut ernst genommen wird und wie selbstverständlich beim Bau und bei der Einrichtung von Gebäuden eingesetzt wird.

Vittachi hat sich selbst mit Fengshui intensiv beschäftigt und verbürgt sich dafür, dass die in den Romanen dargestellten Praktiken korrekt beschrieben sind.

Der oben wiedergegebene Dialog stammt aus dem Roman Der Fengshui-Detektiv im Auftrag Ihrer Majestät, (Originalausgabe Mr Wong goes West 2008. Deutsche Ausgabe übersetzt von Ursula Ballin 2009).

Wong erhält den Auftrag, das Fengshui eines Flugzeugs zu bestimmen, „eines fliegenden Transport-Objekts ohne Norden und Süden, Oben und Unten.“ Für eine Fengshui-Analyse fehlen hier „Berge und Flüsse, deren geordnete Konstellationen maßgebend für die Bestimmung des „Fengshui“, der Harmonie eines Ortes, sind. Eigentlich eine unlösbare Aufgabe. Dann stellt sich aber heraus, dass lediglich der Konferenzraum eines Luxusflugzeugs einer Analyse unterzogen werden soll. Da die Auftraggeber mit höchsten britischen Kreisen, sogar den Royals einschließlich der Queen verbunden sind, ist der stets in Geldnöten steckende und materialistisch denkende kleine Detektiv bereit, seine Bedenken fahren zu lassen und sich der Aufgabe anzunehmen, die allerdings ihn selber zwingen wird, das Flugzeug zu besteigen und einen Flug nach London zu unternehmen, bei welchem das Flugzeug in höchste Gefahr gerät und der Detektiv mal wieder als Retter in letzter Sekunde gefragt ist. Wie die anderen Fengshui-Romane bezieht das Buch auch diesmal seinen Charme und Witz aus der gelungenen und sachkundig geschilderten Konfrontation zwischen der Schlichtheit des in uraltem überlieferten Wissen geschulten Chinesen und der scheinbaren Überlegenheit der komplexen technisierten westlichen Welt. Die Unwissenheit des Detektivs allem gegenüber, was die britische Monarchie betrifft, verführt den Leser zum Schmunzeln, besonders als Wong ihrer Majestät persönlich gegenübersteht und sie verwirrt mit „Mama“ statt „Majestät“ anredet, und trotzdem zielstrebig die Gelegenheit nutzt, sie zu einem kleinen Grundstücksgeschäft zu überreden.

In allen Fengshui-Romanen taucht in Wongs ärmlichen Büroräumen in Singapur das gleiche Personal auf: Die junge rotzfreche Australierin Joyce, die von einem Fettnäpfchen ins andere tritt und trotzdem loyal und erfolgreich für ihren Chef arbeitet. Wong versteht sie überhaupt nicht, und das ist wörtlich zu nehmen, da sie einen manchmal übertrieben geschilderte Teenie-Sprache benutzt. Er kann Joyce aber nicht feuern, da deren Vater, ein reicher Diplomat, Wong regelmäßig dafür bezahlt, dass dieser seine Tochter als Praktikantin beschäftigt. Außerdem treibt da noch die völlig inkompetente Sekretärin Winnie, welche Aufträge grundsätzlich nicht erledigt und den ganzen Tag hauptsächlich mit ihren Fingernägeln beschäftig ist, ihr Unwesen.

Außerdem freut den Leser, stets denselben Mitgliedern der von Wong gegründeten „Singapurer Gesellschaft der Berufsmystiker“ zu begegnen, zu denen er selbst (Geomant) gehört: den bereits erwähnten Inder Sinha, Meister des Vastu, der indischen Entsprechung der chinesischen Geomantik sowie der chinesischen Wahrsagerin Xu Chongli, Astrologin, früher im Bankgeschäft tätig.

Auch die anderen Fengshui-Romane habe ich mit Gewinn gelesen und kann sie jedem ans Herz legen, der sich für die Thematik interessiert.

Zum Schluss noch eine Bemerkung Vittachis im Anhang:  „Früher war Asien eine der kreativsten Ecken der Welt. Die ältesten Schriften wurden in China und Pakistan gefunden, und die vergangenen Jahrtausende haben bemerkenswerte Gedichte und Schriftstücke hervorgebracht. Aber seit zweihundert Jahren hat der Westen das Monopol auf die Kunst des Geschichtenerzählens. Es ist an der Zeit, dass Asien sich wieder Gehör verschafft. Wir haben so viel Großartiges zu erzählen.“

Weitere Romane aus dieser Reihe von Nury Vittachi, sind: Der Fengshui-Detektiv, Der Fengshui-Detektiv und der Geistheiler, Der Fengshui-Detektiv und der Compuntertiger, Shanghai Dinner. Der Fengshui-Detektiv rettet die Welt.

Auf der Krimi-Couch findet man Näheres, Inhaltsangaben, Bewertungen, Rezensionen.

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Meine liebsten Krimi-Serien: Japan (Teil 2)

Noch einmal Japan: Die Romane Laura Joh Rowlands und Sujata Masseys

(A) Laura Joh Rowland schreibt historische Krimis mit dem Samurai Sano Ichiro als Ermittler. Die Romane spielen im 17. Jahrhundert während der Genroku-Ära in Edo, dem heutigen Tokio.

Die Autorin wurde 1954 als Enkelin koreanischer und chinesischer Einwanderer in Michigan geboren, wo sie auch aufwuchs. Sie studierte Mikrobiologie und arbeitete als Chemikerin, Biologin und Qualitätsingenieurin, unter anderem auch beim Bau des Space Shuttle. Ihre ersten beiden Bücher wurden nie veröffentlicht; sie entdeckte jedoch, dass ihr das Schreiben liegt und begann mit ihrer Krimi-Reihe.

Obwohl diese in die fernere Vergangenheit Japans entführen, handelt es sich um moderne Krimis, BLT-Taschenbücher in ansprechendem Format mit aufwändig gestalteten historisierenden Einband-Illustrationen. Sie kosten jeweils weniger als 10 Euro, sind somit preiswert. Aber die Zeiten, wo man Restexemplare für einen „Appel und ein Ei“ bekam und beispielsweise ein „James-Melville“ (Die Todeszeremonie) für 1,99 DM zu haben war, sind endgültig dahin…

Laura Joh Rowland lebt mit ihrem Ehemann und ihren drei Katzen in New Orleans. (Quelle: Krimi Couch) http://www.krimi-couch.de/krimis/laura-joh-rowland.html

Sano Ichiros erster Fall Der Kirschblütenmord  (Titel der amerikanischen Originalausgabe von 1994 „Shinju“, 1. deutsche Auflage – Übersetzung von Wolfgang Neuhaus – 1999) wurde sogleich als „literarisches Glanzstück“ (Robert Harris) und als „Meisterwerk aus der Zeit des mittelalterlichen Japans“ (NDR) bezeichnet. Sano Ichiro soll einen vermeintlichen „shinju“, einen Doppelselbstmord aus unglücklicher Liebe, aufklären, aber im Laufe der Ermitttlungen stellt sich heraus, dass der Fall viel komplizierter ist als zunächst angenommen. Anzumerken ist, dass auch bei diesem Ermittler dessen tatkräftige und gewitzte Ehefrau Reiko in allen Bänden eine wichtige Rolle spielt.

„Darauf einen Reisschnaps“, schlägt Jörg Kimanski vor, der für die Krimi-Couch eine lesenswerte Rezension des Romans geschrieben hat: http://www.krimi-couch.de/krimis/laura-joh-rowland-der-kirschbluetenmord.html

Wer Romane mit fernöstlichem Flair mag, kommt an Laura Joh Rowland nicht vorbei. Inzwischen sind 14 Bände dieser Reihe erschienen. Besonders empfehlenswert ist Band 12, Die Geister des Mondes, vgl. dazu http://www.krimi-couch.de/krimis/laura-joh-rowland-die-geister-des-mondes.htm… Der Brief des Feindes, Sano Ichiros neunter Fall, ist lesenswert, siehe http://www.krimi-couch.de/krimis/laura-joh-rowland-der-brief-des-feindes.html

(B) Und damit komme ich auf Sujata Massey zu sprechen, eine jüngere Autorin, deren Romane ebenfalls in meist in Japan spielen, aber auch einen starken Bezug zu Amerika aufweisen.

Sujata Massey wurde 1964 als Tochter eines Deutschen und einer Inderin im englischen Sussex geboren. Im Alter von fünf Jahren nahmen sie ihre Eltern mit nach Amerika – genauer: nach Pennsylvania, Kalifornien und Minnesota. Allerdings kehrte sie so oft wieder zurück nach Europa, dass »ich mich nie amerikanisch gefühlt hatte«. Nach dem Abschluss an der Universität in Baltimore arbeitete sie dort als Journalistin. 1991 zog es die Kosmopoliten nach Japan.

Im Land der aufgehenden Sonne lehrte Sujata Massey Englisch und lernte Gleichzeitig das Japanische. Sie blieb dort allerdings nur zwei Jahre. Zeit genug, um dort ihren ersten Krimi Die Tote im Badehaus zu beginnen. Er wurde direkt mit dem Agatha-Award für das beste Krimi-Debut ausgezeichnet. Und Sujata Massey machte schließlich daraus die Rei-Shimura-Reihe, die Erlebnisse einer Englischlehrerin in Japan – mit durchaus autobiographischen Zügen.“ (Krimi-Couch, s.o.)

In der Reihe sind bisher 10 Bücher erschienen. Zuletzt erschien in der Reihe der Roman Brennender Hibiskus (Deutsche Ausgabe 2008 übersetzt von Sonja Hauser; die englische Originalausgabe erschien unter dem Titel Shimura Trouble ebenfalls 2008), auf den ich etwas näher eingehen möchte. Diesmal ermittelt Rei Shimura unter den Nachfahren der ehemaligen japanischen Plantagenarbeiter auf Hawai. Die junge Frau sieht sich genötigt, zusammen mit ihrem schwer kranken Vater, einem Psychiater, auf die ferne Insel aufzubrechen, um ein Familienrätsel lösen zu helfen, das sich zu einem gefährlichen Abenteuer entwickelt. Die Heldin muss den Überblick behalten und sämtliche Register ziehen, um nicht im Chaos unterzugehen. Meisterhaft, wie es der Autorin gelingt, bereits auf den ersten Seiten eine größere Reihe zum Teil zwielichtiger und rätselhafter Personen vorzustellen, ohne dass der Leser dabei den Überblick verliert. Die Genauigkeit der Schilderung erlaubt es, sich sämtliche Details vorzustellen, seien es Landschaften, geschichtliche Ereignisse, auf die Bezug genommen wird oder – Kochrezepte. In diesem Krimi darf  bzw. muss Rei Shimura nämlich öfter ihre Kochkünste unter Beweis stellen und die Wiedergabe der Rezepte könnte sogar Ungeübte zum Nachkochen bewegen, wären die Zutaten nicht gar so exotisch. („Spinat  dreimal waschen, dann zum Trocknen in ein Tuch einschlagen….“) Mehr zum Romaninhalt findet sich hier auf der Krimi-Couch.

Zwar läuft die Handlung in Sujata Massey Romanen (fast) in der Gegenwart ab, im Mittelpunkt stehen aber oft exotische Sujets mit langer Geschichte, welche als typisch japanisch gelten. So werden in Der Brautkimono Besonderheiten des japanischen Kimonos thematisiert oder in Tödliche Manga Variationen künstlerisch gestalteter gezeichneter Serien, sogenannter Mangas, dem neugierigen Leser näher gebracht.

Auch hier taucht neben der ledigen Heldin in (fast) allen Romanen derselbe Liebhaber auf. Im Gegensatz zu den klassischen, oft glücklich verheirateten männlichen Detektiven in klassischen Krimi-Serien Serien bringt es die junge Halbjapanerin Rei Shimura nämlich lange nicht fertig, sich endgültig zu binden und die spannende Frage, ob sie sich mit ihrem Hugh zusammenraufen wird, bleibt über mehrere Bücher hinweg offen. (Später „entlobt“ sie sich und ein neuer interessanter Mann „Michael“ taucht in ihrem Leben auf. Wie sich diese Beziehung in Brennender Hibiskus entwickelt, soll hier allerdings nicht verraten werden.) Auch die in Amerika lebende Familie der forschen jungen Dame wird ausführlich in den Romanen dargestellt. Damit wird sicher auch eine jüngere weibliche Leserschaft angesprochen.

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Meine liebsten Krimi-Serien: Japan (Teil 1)

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Foto Baron Raimund von Stillfried (ca. 1880): Als Samurai verkleidete Kabuki-Schauspieler, von Hand kolorierte Fotografie, uploaded 2004 by User Matthias Kabl, aus Commons Wikimedia

 

Teil 1:      Die Krimi-Serie um Superintendent Tetsuo Otani und seinen Assistenten Jiro Kimura

Der Brite James Melville (eigentlich Roy Peter Martin, geb. 1931 in London) lebte zehn Jahre als Kulturattaché in Japan. Seine Erfahrungen verwertete er für eine Krimi-Serie über die Arbeit eines japanischen Polizeireviers in Hyogo/ Kobe, unweit der Stadt Osaka. Seine Romane vermitteln einen genauen Einblick in japanische Kultur. Sie spielen in Kyoto, Kobe, Osaka und einmal sogar fern der japanischen Heimat, in London. Aus diesem Grunde bildet die packend geschriebene Reihe eine meiner Lieblings-Krimi-Serien und ich freue mich, wenn mein Blick auf die acht Taschenbücher in meinem Regal fällt.

Melville verfasste die Romane ab etwa 1979 bis in die 80-er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Sie erschienen zunächst als Ullstein Krimis, einer Reihe, die später aufgegeben wurde. In öffentlichen Büchereien sind sie sicher hier und da entleihbar, und auch in Antiquariaten erhältlich.

Im Roman Sayonara für eine Sängerin fallen mehrere Mordopfer dem Gift des japanischen Kugelfischs Fugu zum Opfer. In Die Todeszeremonie wird der Leser mit dem würdigen alten Großmeister Minamikuni vertraut gemacht, der während der heiligen Teezeremonie an Neujahr von einem Scharfschützen erschossen wird. Schließlich führt der Weg im Lohn des Zen in den buddhistischen Tempel Chisho-ji unweit der Stadt Kobe, in dem sich ein paar ausländischen Zen-Schüler eingenistet haben. Fuchsgeister, die es nicht nur in der japanischen sondern auch in der chinesischen Mythologie seit altersher gibt, treiben angeblich ihr Unwesen in Ein Haiku für Hanae, in dem Otani zusammen mit seinem pfiffigen Assistenten den Mord an einem amerikanischen Mormonen-Missionar aufklären soll. Ins Japan der Nachkriegsjahre wird der Leser in Chrysantheme und Schwert entführt. Dabei handelt es sich um „Melvilles ersten politischen Spannungsroman, einen faszinierenden Thriller aus zwei Welten: dem modernen und dem kaiserlich-militaristischen Japan der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhundert“ (Klappentext). Einen wieder ganz anderen Eindruck in ein uns unbekanntes Japan liefert Das neunte Netsuke, da es nicht nur einen Einblick in das moderne Liebeshotel „Fantasia“ gewährt, sondern mit der erotischen Bedeutung kleiner antiker Elfenbeinschnitzereien bekannt macht, sogenannter „Netsukes“, winziger Statuen unbekleideter nackter Frauen von etwa fünf Zentimenter  Länge.  Und diese Aufzählung der Otani-Krimis ist unvollständig, eine Zusammenstellung findet man hier: 

http://www.krimi-couch.de/krimis/james-melville.html 

Die Schilderung der für uns fremdartigen Aspekte des japanischen Alltagslebens, das Zusammentreffen verschiedener Nationen, detailreiche Informationen über japanische Kultur – das alles ist faszinierend. Aber auch abgesehen davon weisen die Romane reizvolle und genretypische Besonderheiten auf. So finden wir in dieser wie bekanntlich auch in vielen anderen Krimiserien in allen Büchern uns bereits vertraute  Orte vor: Hier ist es beispielsweise das etwas absonderlich eingerichtete Büro des Superintendenten, in dem er sich allerdings nur selten aufhält: Linoleumboden, Ölbild mit röhrendem Hirsch an der Wand. Oder aber wir begeben uns in das immer gleiche traditionell japanische häusliche Ambiente Otanis, in dem er sich, an einem niedrigen Tisch sitzend, im Winter mit beheiztem Kohlebecken unter demselben, mit seiner treuen und für eine Japanerin offenbar reizvoll üppigen Ehefrau Hanae berät, der übrigens in einem Krimi Ein Haiku für Hanae eine tragende Rolle zufällt (siehe oben). Spaß macht auch die stets wiederkehrende literarische Begegnung mit Otanis Assistenten Jiro Kimura, Schwarm der Damenwelt, der ständig nicht immer erfolgreiche Versuche unternimmt, einen westlich modernen Typ zu repräsentieren und der dadurch einen witzigen Gegensatz zu dem eher steifen, wenn auch brillanten Ermittler Otani darstellt. 

Durch Melvilles Romane lernte ich die japanische Stadt Kobe vor dem großen Erdbeben 1995 kennen und lieben. Gerade jetzt, wo verheerende Katastrophen über Japan (Erdbeben, Tsunami, Atom-Reaktor-Unfälle) hereingebrochen sind, bleibt mir zu wünschen, dass der eine oder andere Leser die Mühe nicht scheut, sich einen der zauberhaften Melville-Japan-Krimis zu beschaffen, um sich mit japanischer Moderne, aber auch alter Kultur und Tradition dieses Landes auseinanderzusetzen.

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Colin Cotterill: Dr. Siri und seine Toten

Die Romane Cotterills um Dr. Siri, spielen in Laos um das Jahr 1976. Der Ermittler Dr. Siri, zum einzigen Pathologen des Landes ernannt und auf diese Aufgabe kurz nach der Machtübernahme der Kommunisten mehr schlecht als recht vorbereitet, ist bereits 72 Jahre alt, eine Ausnahme in Laos.

„Dr. Siri und seine Toten“, der erste Band der Reihe, bietet dem Leser auf fast allen Seiten aufregende Lektüre: Es passieren ausgefallene Verbrechen aller Art, Herbeiführen einer Explosion im Wohnhaus, Erwürgen, Folter, Sturz aus dem Hubschrauber, Vergiftung – und auch auf den ermittelnden Pathologen Dr. Siri wird ein Mordanschlag verübt. Auf ihn wird geschossen, als er sich gerade bückt, um einen Hund zu besänftigen. Die Kugeln bohren sich an der Stelle in die Tür, bei der eben noch sein Kopf war.

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Die Schauplätze sind ebenso exotisch wie die handelnden Personen, mal wird der Leser in den Urwald geführt – dort lebt das Bergvolk der „Hmong“ -, dann denkt er zusammen mit dem Ermittler auf einer Strandbank in Vientiane sitzend über die unterschiedlichen Kriminalfälle nach. 

Der Ermittler stellt in der Kriminalliteratur insofern eine Besonderheit dar, als er einen Teil seiner Schlussfolgerungen und Eingebungen in einer Art Wachzustand, einem Traum ähnlich, erhält. Dann suchen den Pathologen nämlich die von ihm untersuchten Toten heim und führen ihn durch rätselhafte Botschaften der Lösung der Kriminalfälle näher.

Man könnte das Ganze für einen aufgesetzten, nicht ernst zu nehmenden Schmarrn halten. Kann man solche Dinge als aufgeklärter erwachsener Leser überhaupt ernst nehmen? Man kann. Innerhalb des Genres der „Regionalkrimis“, der Krimis, die in entlegenen Regionen spielen und den westlichen Leser mit der dortigen Geschichte vertraut machen, spielen die Romane um Dr. Siri des 1952 in London geborenen Colin Cotterill, der heute mit seiner Familie in Thailand lebt, eine ganz besondere Rolle. Das liegt an zwei Aspekten. Zum einen ist es der erfrischende Witz, eher britisch als asiatisch, mit dem Colin Cotterill in die Welt seines Helden einführt. Und zum anderen meine ich, dass es Cotterill gelingt, durch seine Romane das Interesse für Laos zu wecken. Denn dort spielen seine Bücher, die Welterfolge geworden sind.

Mehr zum Autor und seinen Büchern
Sehenswert ist Colin Cotterill’s Homepage. 
Auch die „Krimi-Couch“ bewertet Cotterill sehr positiv. Lars Schafft spricht trocken von „Dr. Siris real existierendem Humorismus“.
Wer sich über weitere Bücher des Autors informieren will, sollte sich es mal auf der Krimi-Couch (siehe oben) gemütlich machen!

Mich hat die Lektüre jedenfalls animiert, in Wikipedia weiter nachzuforschen und zu meiner Überraschung fand ich viele Informationen, die nahelegen, dass die Schilderungen über Land und Leute nicht nur historisch korrekt sind, sondern dass sie Auswirkungen bis in die Gegenwart haben. Das Land Laos wird einem auf unaufdringliche Weise näher gebracht.

Zur Geschichte des Landes Laos, (die man in Grundzügen kennen sollte, um den Roman verstehen und würdigen zu können):
1975 wurde der einzige südostasiatische Binnenstaat Laos kommunistisch, davor war die Demokratische Volksrepublik Laos bis zum zweiten Weltkrieg französische Kolonie. Während des Krieges war Laos von den Japanern besetzt. Die USA, welche in Vietnam offiziell von 1965 an Krieg führten, der durch die Einnahme Saigons durch nordvietnamesische Truppen am 30.4.1975 in Saigon beendet wurde, erklärten Laos nie offiziell den Krieg.

Das in abgelegenen Urwäldern lebende Bergvolk der Hmong wurden von der CIA eingesetzt, um die Pathet Lao, die antijapanische Widerstandsbewegung in Laos, zu bekämpfen und um mit dem Flugzeug abgestürzte oder abgeschlossene US-Soldaten aufzuspüren. Im Roman spielen diese Ureinwohner von Laos eine wichtige Rolle. Dr. Siri sucht sie auf, um bestimmte Hintergründe von ihnen zu erfahren und hat bei dieser schwierigen Mission einen Erfolg, der sich rational nicht erklären lässt. Die Hmong glauben nämlich in dem grünäugigen Ermittler die Wiedergeburt eines längst verstorbenen Heiligen zu erkennen, dem sie vertrauen können. Das Ganze erschien mir so absurd, das es mir naheliegend erschien, mich einmal mit der realen Geschichte der Hmong zu beschäftigen.

Diese Bergbewohner waren während des Vietnamkrieges in amerikanische Kampfhandlungen eingebunden. Sie kämpften auf Seiten der USA („secret war“) und werden jetzt von Thailand aus, wo sie ein Refugium gefunden hatten, nach Laos expatriiert, was die alten Konflikte zwischen ihnen und der übrigen Bevölkerung wieder aufleben lässt.

Die Hmong leben nach dem 2. Weltkrieg nicht nur in Laos, sondern sind über die Welt verstreut. Sie bilden seit jeher  auch eine Minderheit in China – dort „Miao“ genannt – und in anderen asiatischen Ländern. In der alten chinesischen Geschichtsschreibung findet man viel über sie. Nach dem zweiten Weltkrieg sind sie auch nach Europa/ in die USA ausgewandert. Einige von ihnen sind blond.

Die Probleme, welche Cotterill schildert: Rodung des Urwalds, Konflikte mit den Hmong, Armut, schlechte Bildung etc., Anbau von Opium, niedriges Durchschnittsalter (54 Jahre!) spiegeln sich in seinen Romanen. Zur Bildung: Es gibt Initiativen, die Schulbildung zu verbessern. Trotzdem haben einige Kinder in abgelegenen Regionen einen Schulweg von bis zu 20 km. Da sie ihren Eltern helfen müssen, brechen sie die Schule häufiger ab. Die Wikipedia-Artikel bringen weiterführende Hinweise, auch auf Dokumentarfilme. Das Land gehört jetzt zur ASEAN und versucht eine Annäherung an den Kapitalismus. Die UNDP, einige Industriestaaten und Hilfsorganisationen finanzieren die Räumung des Landes von Landminen (Blindgängern) aus dem Vietnamkrieg, welche viele Bauern verletzen oder töten. Die USA beteiligen sich jedoch nicht an den Kosten der Beseitigung der Blindgänger. Durch das Minenräumprogramm finden viele Menschen Arbeit.

Durch Rodung ist viel Urwald verloren gegangen. Rund 14 % des Landes sind jetzt jedoch geschützt.

Das Land ist vom Pauschaltourismus noch unberührt, trotzdem setzt man auf sanften Öko-Tourismus als Devisenbringer. Malaria ist weit verbreitet, einige Formen sind auf Prophylaxemedikamente bereits resistent.

Angaben zum vorgestellten Buch
Colin Cotterill: Dr. Siri und seine Toten. Roman. Aus dem Englischen von Thomas Mohr, München 2008
(Die Originalausgabe erschien 2004 unter dem Titel „The Coroner`s Lunch“, Soho Press New York)
Weitere Details bei amazon

 Anmerkung: Dieser Beitrag wurde ebenfalls im Blog bücher veröffentlicht

 

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Der schöne Schein – familiäre Krise im französischen Film

 

Am Montag, den 7. 2. 2011, lief auf ARTE der französische Film: „Am Morgen danach“ (Originaltitel: „Post coitum animal triste“) von 1996. Die Regisseurin des Films wurde 1997 mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet.

Zum Inhalt: Die Hauptperson Diane, eine zierliche Mittvierzigerin, verliebt sich glühend in einen jüngeren, gutaussehenden Mann, der sich ihr als „Klempner“ bei einer Buchpräsentation vorstellt, in Wahrheit aber ein Ingenieur ist. Später trennt er sich von ihr. Ab da nimmt das Unheil seinen Lauf.

Das Problem: Sie ist verheiratet und hat zwei halbwüchsige Kinder.

Nichts Neues, möchte man sagen, ist aber doch verblüfft, wie sich die Regisseurin und Hauptdarstellerin Brigitte Roüan des Themas annimmt. Sie schildert die Ereignisse konsequent aus der Sicht der Frau. Und diese ist egoistisch, völlig blind für die Nöte und Bedürfnisse ihres Mannes und der Kinder. Obwohl das Familienleben der zu Beginn des Films strahlend schönen Diane bisher von Herzlichkeit und Respekt geprägt war, ergibt sie sich nun völlig ohne Schuldgefühle ihrem Liebestaumel und versucht, allerdings vergeblich, diesen mit ihrem anstrengenden Alltag als berufstätige Mutter zu verbinden. Sie stürzt sich ohne Wenn und Aber in die Affäre und bemüht sich kaum, diese geheim zu halten. Gespeist wird ihr Wahn wie in der romantischen Literatur des 19. Jahrhunderts durch Bücher, immerhin betreut sie gewissenhaft junge Autoren, die sich – allerdings nur in der Theorie – mit dem Thema „Liebe“ abmühen. Als die Beziehung in die Brüche geht, vernachlässigt sie ihren Beruf als Lektorin. Der junge Mann, der ihr zunächst aufrichtig ergeben war, trennt sich von ihr. Ab diesem Zeitpunkt versinkt sie in Selbstmitleid, verkommt auch körperlich und ergibt sich dem Alkohol.

Wie gesagt: Die Familie – oder soll man schon sagen „Restfamilie“? –stellt sich in diesem französischen Film immer noch wie zu Zeiten Chabrols als bürgerliche, gut gestellte (Pariser) Familie und damit attraktives Rollenmodell dar. Die Wohnung ist erlesen eingerichtet, die Kinder sprechen gepflegt, lassen sich auch angesichts der sichtbaren Veränderungen der Mutter nicht gehen, sondern zeigen lediglich einen milden Vorwurf. Bei einem Besuch der Mutter nach deren Trennung vom Geliebten kümmert sich die 13- oder 14- jährige Tochter zunächst liebevoll um die apathisch wirkende Mutter. Aber eigentlich ist sie nur gekommen, um auf dem Klavier zu üben. Die Mutter, welche die Familie durch ihr Verhalten quasi zerstört hat, liegt benebelt auf dem Sofa und trauert ihrem Freund nach, während die Tochter Normalität zelebriert und brav auf ihrem Instrument übt. Merkwürdigerweise wirkt das eher verspielt und ironisch, nicht verkrampft. Eine solche Konstruktion bei einer zerbrechenden Familie habe ich im deutschen Film bisher nicht erlebt.

Männer und Frauen, die sich Hals über Kopf verlieben und das Bestehende aufgeben, gibt es allerdings sowohl im Nachbarland als auch bei uns. Bereits von mehr als 20 Jahren bestrafte der Bundesgerichtshof Frauen, welche sich „grundlos aus einer intakten Ehe“ verabschiedeten mit Unterhaltsentzug. Auch das höchste deutsche Zivilgericht musste somit zur Kenntnis nehmen, dass nicht nur von außen nachvollziehbare Gründe zum Scheitern einer Ehe und damit einer Familie führen können.

Zurück zum Film: Die Kinder führen, von der Mutter verlassen, ab jetzt ihr eigenes Leben. Der Ehemann tobt und zertrümmert Mobiliar – allerdings nur im Geheimen in einer abgelegenen Rumpelkammer. Zu Beginn zeigt der betrogene Ehemann sogar Mitleid mit seiner Frau, die ihm völlig ausgerastet vorkommen muss. In der Krise spaltet sich die Umgebung,  die Frau lebt für sich in einem ungepflegten, vermüllten Raum, während für den Mann und die Kinder das Leben scheinbar so wie bisher weitergeht.

Der Film knüpft an die  Tradition des französischen Erzählkinos an, er enthält subtile Dialoge, das Schwelgen in Kostümen und Décors. Auch hier spielt die „Amour fou“,  die wahnsinnige Liebe, eine große Rolle. Sie existiert außerhalb der Ehe und der etablierten Familie und führt geradewegs in Chaos und Verderben. Wie verträgt sich das mit dem Anspruch der „Grande Nation“, die Hüterin von Clarté (Klarheit) und Raison (Vernunft) zu sein? Gar nicht. Wider alle Vernunft versucht Diane, die Gegensätze in ihrem Leben miteinander zu verbinden, der Spagat misslingt jedoch am Ende. Neben der existenziellen Hingabe an eine leidenschaftliche Liebesbeziehung wird gleichzeitig und unterschwellig der Fortbestand des bisherigen Familienlebens so weit wie möglich modellhaft zelebriert. Dianes „Amour fou“ wird völlig losgelöst von moralischen Werten und Verpflichtungen ausgelebt. Inmitten der sie umgebenden und auf die Probe stellenden Turbulenzen wird „Familie“ als verführerische Option vorgeführt, eben als „der schöne Schein“.

http://videos.arte.tv/de/videos/am_morgen_danach-3683892.html

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Auf der Intensivstation

(Geschrieben von Sita am 30. Januar 2011 und jetzt veröffentlicht von der Familie)

Prüfend wirft der Chef, so nennen wir Mitarbeiter den Chefarzt, einen Blick auf den Monitor. „110“, murmelt er befriedigt und erklärt dem Menschen, der da dick und rosig vor ihm im Bett liegt und schnauft: 
„Gestern bei der Einweisung hatten Sie noch einen Puls von 160. Wissen Sie, dass Ihr Herz doppelt so groß ist wie normal?“
„Das weiß ich“ röchelt es ihm mit belegter Stimme von unten entgegen, und dann:
„Ich bin 82. Aber ich habe noch Garantie für 15 Jahre.“

Herr Franz wurde vor zwei Tagen auf Veranlassung des Notarztes und seiner Lebensgefährtin eingeliefert, nur dieses eine Bett war noch frei. Schwester Manuela raschelt mit den Patientenakten, die allmorgendliche Visite ist gleich beendet. Da meldet sich der Chef noch mal:
„Wie haben Sie geschlafen, Herr Franz?“
„Überhaupt nicht“, kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen.
„Das stimmt nicht“, ertönt eine weibliche Stimme aus dem Nachbarbett, das direkt am Fenster steht. „Sie schlafen Tag und Nacht.“

Die Patientin, der diese Stimme gehört, liegt im Krankenbett neben Herrn Franz. Die Betten in diesem Raum stehen nur durch einen Paravent getrennt nebeneinander. Die beiden Menschen, die da nebeneinander liegen, beide mit Tröpfen und Sauerstoffschlauch versehen und mit Monitoren verkabelt, können sich somit nur hören, nicht sehen. Die Türen der Krankenzimmer auf der Wach- oder Intensivstation für Notfälle und frisch operierte und andere Patienten sind angelehnt, damit Pfleger, Schwestern und Ärzte rasch auf Veränderungen reagieren können. Das führt zu einem Eindruck von Unruhe, man hört jedes Gespräch auf dem Flur, das leise Getrappel von Füßen sowie Gemurmel und Atemgeräusche aus den Zimmern.

Ich stehe kurz vor der Pfleger-Abschlussprüfung. Jetzt absolviere ich noch ein Praktikum von zwei Monaten auf allen Stationen. Von mir wird Einsatz erwartet, ungefragt gehe ich den Schwestern zur Hand und erledige Hilfsdienste wie Tabletts hin- und hertragen, Papierkörbe leeren, bin offen für Anfragen und Bitten von Patienten und Angehörigen und übe „Gesprächsführung“, so wie ich es gelernt habe. Und ich nehme, so wie jetzt, auch an Visiten teil. Meist bin ich wie alle anderen hier in Eile, oft ist es hektisch und manchmal ist das Personal am Ende der Kraft angelangt. 

Der alte Mann zieht mich in seinen Bann. „Er war 30 Jahre bei der Polizei“, hat Schwester Manuela mir heute Morgen im Personalraum beim Kaffee erzählt, „er war früher Scharfschütze.“ Jetzt ist er ziemlich erledigt, aber ärztliche Kunst wird seinen Zustand verbessern, wenigstens vorübergehend. In der Zwischenzeit wird er meistens schlafen.“

Kein Wunder, denke ich. Der Mann kriegt keine Luft. Sein Herz spielt verrückt. Er hat Angst. Aber statt herumzujammern zieht er es vor, blöde Witze zu machen und die Zeit zu verschlafen.

Noch etwas anderes hat mir Schwester Manuela erzählt: „Als ich gestern in den Raum kam, empfing er mich mit den Worten: „Ich war 30 Jahre lang als Polizist im öffentlichen Dienst. Ich habe Diebe und Mörder festgenommen. Ich kriege eine Rente von 1600 Euro. Das ist bestimmt mehr als Sie verdienen.“ Ich musste ihm zustimmen, schließlich arbeite ich nur an zwölf Tagen im Monat. Diese Mitteilung empört mich. Aber ich schweige. Schließlich haben wir gelernt, den Patienten niemals zu widersprechen. Und ich bin unsicher, wie Schwester Manuela reagieren würde, wenn ich das ausspreche, was ich denke: „Du aufgeblasener Wicht….“

Nach der Visite betrete ich wieder den Krankenraum, in dem Herr Franz und seine Bettnachbarin untergebracht sind. Der alte Mann liegt bewegungslos mit offenem Mund und gerollter Zunge da, sein lautes Schnarchen klingt friedlich. Grüne Kurven und Zacken bewegen sich unermüdlich auf dem schwarzen Monitor an seinem Kopfende. Ich greife mir einen Papierkorb und will mich möglichst leise entfernen, als Herr Franz seinen mächtigen Oberkörper aufrichtet und beginnt, in sein Mobiltelefon zu sprechen.

„Leni, hör` zu. In meinem Kühlschrank ist ein Ei. Nimm` es heraus. Du kannst es essen, oder wegwerfen, egal. Stell` den Kühlschrank dann wärmer. Ich bleibe bin im St. Peter-Hospital, noch 12 Tage. Du brauchst mich nicht zu besuchen.“

Er spricht knapp, abgehackt, nur das Nötigste. Er macht eine Pause. Dann wendet er sich an seine für ihn unsichtbare Bettnachbarin:
„Ich habe in dem Haus eine Wohnung im 3. Stock, sie wohnt im ersten Stock. Ich mache alles selbst, Fenster putzen, Fußboden wischen, alles. Vor acht Jahren ist meine Frau gestorben. Ich würde meine Lebensgefährtin gerne heiraten, ich habe ja noch Garantie, aber sie will nicht.“

Die Frau in dem Bett daneben erwidert etwas, das ich nicht verstehen kann. Darauf Herr Franz, mit festerer Stimme als zuvor: …..“ bin ich operiert worden. An der Hüfte. Ich habe dem Arzt gesagt, wenn das nichts wird, erschieße ich Sie. Daraufhin hat er sich Mühe gegeben, die Operation ist gut verlaufen.“

 

Das kenne ich. Diese Geschichte hat er dem Oberarzt neulich auch erzählt. Der gab darauf hin als Antwort: 
„Auch ohne diese Drohung hätte der Arzt Sie gut operiert“. Das ließ Herr Franz aber nicht gelten: „Nein, nein. Das hätte er nicht getan.“ Und danach ganz kleinlaut: „Meine Lebensgefährtin sagt, im städtischen Krankenhaus hätte man mich nicht genommen.“

 

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Starting

Starting

 

 

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Winter – Morning

Looking out of my window – a bright and peaceful sight in the middle of a winter full of snow and stormy weather

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